
#6 Begegnung mit Flindt (update am 16.Okt.2018)
„Du solltest dich ersteinmal setzen, ich koch dir´n Tee.“, sagte Flindt.
„Scheiß auf den Tee! Ich bin völlig durcheinander und hinsetzen will ich mich auch nicht… und überhapt!“, brach es aus mir heraus. „Was sollen wir denn jetzt machen? Was meinte Nolk denn, im Dreck liegen??? Warum konnte er dich überhaupt sehen???“ Meine Stimme überschlug sich und mein Brustkorb hob und senkte sich bedrohlich… Sicher werde ich gleich in Ohnmacht fallen… oder noch schlimmeres… oder sterben… ich bekam keine Luft mehr!
Es klatschte heftig und erst als dieser brennede Schmerz über meine linke Gesichtshälfte schoß, begriff ich, dass Flindt mir eine runter gehauen hat! „Komm zu dir, Prinzessin!“, brummte er und ging in die Küche.
Mein Kinn begann zu zucken und meine Augen wurden feucht. Es tat weh. Es tat so fürchterlich weh. Aber ich bekam auch wieder Luft und hatte einen Gedankensblitz, der mich von meinem Selbstmittleid ablenkte. Ich rannte ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. So wie das geklatscht hat und so wie das brannte, müsste mein Gesicht auf der linken Seite feuerrot sein, vielleicht sogar ein Abdruck seiner Hand zu sehen. Kann man denn von Geisterhand eine geklebt kriegen, ohne dass man auch mit Ektoplasma vollgeschleimt werden würde? Es fühlte sich nicht schleimig an in meinem Gesicht. Und ich hatte Recht: Da war nichts.
„Ich meine, wir müssen erst einmal heraus finden, was du überhaupt für einen Einfluß auf diese Welt hast… auf meine Welt… wo du bist, wenn du nicht hier bei mir bist und wie du mir helfen kannst, also… wenn ich dir helfen soll… Verstehst du, wie ich meine?“
Wir gingen zusammen in das Zimmer, das auf die Goethestrasse hinaus ging. Flindt hatte den Tee auf den niedrigen Tisch gestellt, der vor dem Sofa stand. Also konnte er Dinge bewegen, die mir gehören.
„Nur zu gerne, aber das müssen wir verschieben. Die Zeit läuft uns langsam davon! Also:“, er klopfte auf den Sofaplatz neben sich, ich bevorzugte meinen Sessel.
Wir sinnierten eine ganze Weile darüber, welche physikalischen Grundgesetze unserer neuen Erlebniswelt zu Grunde liegen könnten. Auf meine Frage hin, wie es sein könne, dass er manchmal da ist und manchmal nicht, erklärte er mir, dass ich ihn hindenken würde. Und ich könne ihn nicht wieder wegdenken. Wie wenn man nicht an einen weißen Elefanten auf einem pinken Dreirad denken kann. Nur wenn ich mit allen Fasern meines Verstandes, also meine ganze Aufmerksamkeit, an etwas anderes gebunden ist, dann ist Flindt verschwunden…
Nun, zu diesem Zeitpunkt wussten wir beide nicht, dass es noch einen weiteren, weitaus dramatischeren Grund gab, warum Flindt nicht in Erscheinung treten konnte. Aber wir wussten beide nicht viel in diesem Moment.
„Also wirst du sicher nicht da sein, wenn ich eine romantische Liebesnacht hätte?“, fragte ich.
Flindt lachte so schallend, dass ich einen hoch roten Kopf bekam. „Mit Sicherheit nicht!“ Er lachte noch immer und schlug sich mit der Hand auf den Schenkel. „Was ist so lustig daran?“, fragte ich. Meine Scham wich langsam dem Gefühl der Kränkung. Aber Flindt dachte nicht daran, aufzuhören, als wäre es der beste Witz aller Zeiten.
„Heißt das, du bist schon länger bei mir, als seit dem Abend im freischütz?“ Jetzt erschrak ich wirklich. Was hatte er gesehen? Was hatte mich alles kompromittieren können?
„Keine Angst, war ja alles jugendfrei.“, antwortete er. „Aber ja, ich bin schon länger bei dir… irgendwie haben deine Gedanken mir die Möglichkeit dazu gegeben. Und als ich dich dann dort an der bar hab sitzen sehen, zunehmend in einem Alkoholnebel verschwindent, dachte ich, es wäre ein guter Moment, auszuprobieren, ob du mich wahr nehmen kannst. Der Barkeeper konnte es ja nicht, wie du dich erinnerst.“
„Mich zu beleidigen ist nicht besonders zweckdienlich, wenn du es wissen willst!“ Ich schnaubte verächtlich die Luft aus der Nase. Kommt in mein Leben hinein gestolpert und dann auch noch Ansprüche stellen. Dem werd ich es zeigen, von wegen keinen Mumm… Pfff.
„Ich glaube das ist ein Ja.“, sagte ich. „Komm mit! Ich will es auch versuchen! hast du deine Wagenschlüssel?“
Ich drehte die Schlüssel im Zündschloss, wartete bis der Diesel vorgeglüht hatte, startete den Motor… er fuhr! Ich war völlig aus dem Häusschen! Ich fuhr tatsächlich einen Geisterwagen… macht mich das schon zum Geisterfahrer? Flindt verdrehte die Augen.
Wenn ich es also recht bedenke, können wir die jeweiligen Dinge des anderen berühren und bewegen, aber keinerlei Einfluß auf ihren Zustand nehmen. Analog zu meiner Teetasse müsste es bedeuten, dass ich mit Connys Wagen keinen Unfall bauen kann. Aber was würde dann passieren? Ich spürte es kribbeln in meinem Bauch und ich wurde mutig.
Flindt konnte nicht mehr eingreifen, auch wenn er es versuchte. Ich sah seine weit aufgerissenen Augen und wie seine Lippen in Zeitlupe ein N – E – I – N – N – N formten. Dann krachte es ganz gewaltig und der schwarze Benz vor uns machte einen Satz, sein Heck knautschte sich zusammen, er schoss derweil in den Pinto vor ihm und zerdellte den Kofferraum des Wagens vollständig.
Weiter konnte ich nicht sehen, da ich mit einem Ruck aus dem Wagen gerissen wurde und praktisch auf die Straße hinter dem Merzedes fiel. Flindt und sein Transporter waren verschwunden. Die Leute starrten mich fassungslos an, der Benzfahrer sprang aus den Trümmern seines Autos und setzte auf mich zu.